Notizen eines Erythrokeramisten (Auszug)
Essays von einem Gelehrten des Erythrokeramismus, die seine alltäglichen Gedanken und Empfindungen in Form kurzer Verse einfangen.

Notizen eines Erythrokeramisten (Auszug)

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In Träumen singen wir fröhlich mit Freunden und Verwandten, doch beim Erwachen weinen wir ob der Heimatlosigkeit.

In Träumen nehmen wir Abschied von Geliebten, doch beim Erwachen lächeln wir über eine köstliche Speise.

Wir träumen, wir erwachen; ein ewiger Kreislauf, das Leben zerstückelt und wieder aneinandergereiht.

Oft glauben wir, Traum und Realität zu unterscheiden –

Doch wie wissen wir vom Traum, wenn wir nicht erwachen?

Und wenn wir träumen, wie können wir uns dann selbst zum Aufwachen bringen?

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Sterne steigen auf und sinken nieder, und alles, was geboren wird, muss vergehen.

Die Welt ist weit, die Zeit endlos, das Schicksal ein unendliches Spinnennetz.

Wir sind nur Insekten im Netz, winzige Fragmente am Himmel des Lebens.

Wir zittern chaotisch, entstehen und vergehen wie Wolken –

Die Welt verlangt kein Verständnis von uns, warum also analysieren, ableiten und konstruieren?

Baut man ein Bett auf einem Bett? Stellt man Säulen unter das Fundament?

Was nicht wahrnehmbar ist, muss nicht existieren. Selbst wenn es existiert, ist es nichtig.

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In den Staubblättern der Weißen Silberwurz sehe ich zarten Duft, in der Musik des Festmahls höre ich süßen Geschmack.

Im Blumenduft der Gärten rieche ich leuchtende Farben, im fließenden Honig schmecke ich fröhliche Melodien.

Meine Seele lehrte mich längst das Wesen aller Dinge, mein Geist lernte, sich nicht von Vernunft zu fesseln.

Ich begegne einer Blume, ich sehe, höre, rieche, schmecke sie, sie liegt einfach da –

Doch schreibe ich sie nieder, male sie, präpariere sie, so ist sie nicht mehr jene Blume.

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