„In alten Legenden der Küstenstaaten heißt es, dass das Meer der Seelen einst ein Wesen hervorgebracht hat, das den Göttern ebenbürtig ist. Laut der Berichte der Fischer taucht ein solcher „Meeresherrscher“ mit dem Aussehen eines Kindes in den Wellen auf, mit einem grimmigen Gesicht, rotem Teint und blauen Lippen. Es badet im durchdringenden, knochenzermürbenden Wasser des Meeres der Seelen, kämpft mit den furchterregenden Bestien darin, trinkt gierig Blut und frisst rohes Fleisch und Knochen.
Man sagt, jedes Mal, wenn es in die Tiefe des Meeres sinkt, wird es kurz darauf aus dem Meer der Seelen wiedergeboren. In ungefähr neun Jahren soll es sich über zehntausendmal neu geformt haben, bis es schließlich das Ungeheuer zerriss. Das Blut färbte das Meer auf tausend Meilen rot, doch keine fleischfressende Meeresbestie wagte es, sich zu nähern.
Man sagt, dass ein Schlag mit seinem Schwanz viele Fische und Garnelen ans Ufer schleudern kann. Einmal betete ein in Seenot geratener Fischer verzweifelt um Hilfe, und der Meeresherrscher rettete ihn mit seiner Armee. Die Geschichten wurden immer unglaublicher, bis irgendwann Fischer anfingen, Bilder des Meeresherrschers zu malen und an ihre Boote zu hängen, um eine sichere Fahrt zu erbitten.
In letzter Zeit kursieren Gerüchte, dass der sogenannte Meeresherrscher in Wahrheit der Geist von dem Thronfolger Mydeimos ist. Der alte König habe ihn aus Angst vor einer Prophezeiung direkt nach der Geburt ins Meer geworfen, und der verstorbene Junge finde keinen Frieden und schwöre, das gesamte Meer der Seelen zu beherrschen. Doch ich denke, das ist nur eine weitere Prahlerei der verschlagenen Kremnosianer, und ich habe drei Gründe dafür:
Erstens, auch wenn es bei den Kremnosianern Tradition ist, dass Vater und Sohn um den Thron kämpfen, warum sollte ein neugeborener Kronprinz direkt ins Meer geworfen werden?
Zweitens, selbst wenn der alte König Eurypon senil war und die Prophezeiung glaubte, wie könnte ein Baby die Kraft eines Gottes haben, um gegen ein Meeresungeheuer zu kämpfen?
Drittens, selbst wenn es ein solches Kind gäbe, wäre es niemals ein Kremnosianer. Die Kremnosianer sind so egoistisch und grob, dass sie niemals in Not geratenen Fischern helfen würden.
Liebe Leser, ich werde euch nun die Wahrheit verraten: Der Meeresherrscher
– ist in Wirklichkeit die Verkörperung des Meeres selbst!“
– Auszug aus dem Buch in der Bibliothek Garbaniphoro
„Studien über den mächtigen Meeresherrscher“„Stark.“
– In der Handschrift des Mannes